Alwine Glasen

Alwine Glasen

* 05.01.1929 in Saarwellingen
† 04.05.2019 in Saarwellingen
Erstellt von Fabian Glasen
Angelegt am 29.10.2020
280 Besuche

Über den Trauerfall (2)

Hier finden Sie ganz besondere Erinnerungen an Alwine Glasen, wie z.B. Bilder von schönen Momenten, die Trauerrede oder die Lebensgeschichte.

Traueranzeige

29.10.2020 um 20:40 Uhr von Fabian

Wir haben zusammen tapfer gekämpft, gehofft und doch
verloren.

Wir waren liebevoll verbunden - zuletzt mehr denn jeh.

Wir werden Dein warmes Herz, die Seele unserer Welt, immer vermissen.

Wir haben Deine Stimme im Ohr, Dein Bild im Kopf und Dich
für immer im Herzen.

Alwine Pauline Glasen

geb. Lauer

*5.1.1929     † 4.5.2019

In tiefer Trauer:

Fabian Glasen

Herbert Mellinger

Alwine Glasens Leben aufgeschrieben von ihrem Sohn Fabian Glasen

29.10.2020 um 20:40 Uhr von Fabian

Meine Mutter Alwine Pauline Glasen geborene Lauer wurde am 5. Januar 1929 in Saarwellingen in der Bilsdorferstrasse geboren und ist am 4. Mai 2019 keine 100 Meter von ihrem Geburtsort entfernt in ihrem Haus in der Jasminstrasse 5 gegen 22:50 Uhr gestorben.

Ihr Vater Jakob Lauer stammte aus Saarwellingen, ihre Mutter Mathilde Lauer geborene Wirbel aus Körprich. Alwine war die älteste von insgesamt 3 Schwestern, die jeweils 5 Jahre auseinander waren.

Aus heutiger Perspektive wissen wir, dass 1929 im Jahr der Weltwirtschaftskrise im Saarland in eine Arbeiterfamilie geboren zu werden für ihre Kindheit und Jugend nichts gutes verhieß.

Auf die Machtergreifung des Nationalsozialismus folgte der zweite Weltkrieg und darauf die entbehrungsreichen Nachkriegsjahre mit Hunger und Not aller Art.

Das hat sie für ihr ganzes Leben geprägt. Sie war zeitlebens sparsam, ordentlich und sehr sauber und wollte nie jemandem etwas schuldig bleiben. Ferner war sie sehr kinderlieb und sehr tierlieb.

Da ihr Vater in den dreissiger Jahren aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen häufig unverschuldet arbeitslos war, musste ihre Mutter bei wohlhabenderen Familien als Haushaltshilfe arbeiten. Alwine musste sich in diesen Zeiten um die Erziehung der jüngeren Schwestern Maria und Erika kümmern. Später hat sie wiederholt unter Tränen bedauert deswegen keine Kindheit gehabt zu haben, weil sie sich statt zu spielen, um die Erziehung ihrer Schwestern kümmern musste. Ihr Vater fand später bis zu seiner Rente eine Festanstellung auf der Stahlhütte Röchling Völklingen.

Ihre Mutter Mathilde hatte 13 Geschwister. Dadurch hatte Alwine viele Cousins und Cousinen, die meist in Körprich wohnten. Viele Jahre lang trafen sich diese jährlich zu einem Cousingentreffen in einer Gaststätte in Körprich.

1947 heiratete Alwine mit 18 Jahren Herbert Glasen aus Saarwellingen. Die Familie wohnte zunächst zusammen mit ihren Eltern und ihren Schwestern im Elternhaus von Alwine in der Dillingerstrasse 50 (uff da Schiwwelkauhl) in einem Zimmer. Lange blieb ihr dringlicher Kinderwunsch unerfülltt, aber nach einer Fehlgeburt mit Blutvergiftung, an der sie fast gestorben wäre, brachte sie im Oktober 1951 allein in ihrem Elternhaus ihr einziges Kind, als Frühgeburt, ihren Sohn Fabian zur Welt.

1952 zog die Familie dann ins neu gebaute Haus von Josef Weißgerber, dem Onkel ihres Mannes Herbert, an den Labacherwesch (Reisbacherstr. 38) und verlebte dort eine glückliche Zeit, bis sie im September 1959 aus heiterem Himmel morgens die Nachricht erhielt, dass ihr Mann auf dem Weg zur Arbeit nach Saarbrücken, wo er als Postbeamter arbeitete, mit der Vespa tödlich verunglückt sei. Dies löste in ihr einen Schock bzw. ein Trauma aus, das sie für ihr ganzes Leben prägte. Sie hatte immer Angst, wenn einer ihrer Lieben im Strassenverkehr unterwegs oder sonstigen Gefahren ausgesetzt war. Ihre Gesundheit war von diesem Tag an nicht mehr die beste. Zunächst hatte sie neben einer Trauer-Depression ein Zwölffingerdarmgeschwür. Später sollten andere Krankheiten folgen. Ihr Hausarzt Dr. Böckmann verordnete ihr eine Kur in Boppard.

Wegen Differenzen mit Ida Schillinger, der Schwester ihres verstorbenen Mannes, zog sie 1960 mit ihrem Kind wieder in ihr Elternhaus in der Dillingerstrasse 50 und später als Mieterin ins Haus von Herrn Matthey gegenüber ihres Elternhauses. Als sie sich 1961 dazu entschliessen konnte eine Arbeit im Verkauf anzunehmen, hellte sich ihre Trauer-Depression auf. Sie war wieder unter Leuten, hatte Erfolg bei der Arbeit, nahm wieder freudig am Leben teil und lernte dabei in Dieffeln ihren neuen Lebenspartner, den aus Dieffeln stammenden, 10 Jahre jüngeren Herbert Mellinger, kennen, mit dem sie bis zu ihrem Tod zusammen lebte.

Als sich 1963 die Gelegenheit für sie bot, ein Baugrundstück am Ruckert zu erwerben und zu bauen, erfüllte sich für sie der Lebenstraum vom eigenen Haus. Zusammen mit ihrem neuen Lebenspartner Herbert und ihrem Sohn Fabian und der Unterstützung vieler Verwandter und Bekannter bauten sie das Haus so weit wie möglich in Eigenregie.

Sie hatte grosse Sorgen wegen der Schulden, die sie zur Finanzierung des Hauses machen musste, aber mit ihrer sparsamen Art hatte sie die Schulden schon bald getilgt und war darüber dann sehr erleichert.

In ihrem Haus konnte sie sich als Hausfrau dann richtig ausleben indem sie es für die Familie in ihrem Sinn gestaltete und in Schuss hielt. Neben den vielen Tätigkeiten als Hausfrau (putzen kochen, einkaufen, waschen, bügeln etc.) regelte sie auch die organisatorischen Dinge (Geldangelegenheiten, Versicherungen, Steuern, Abgaben etc.) und kümmerte sich um den Garten, der lebenslang ihr Hobby blieb. Besonders liebte sie die Blumen.

Als sie im Sterben lag sagte sie mal zu mir. Hädden mir donn gedenkt, wie mir dat Haus loh gebaut honn, dat mir mohl gäven so loh lein. Scheen Zeit, greilich Zeit.

Zu Beginn der 70er Jahre zogen wieder dunklere Wolken auf. Ihr Sohn musste als Wehrpflichtiger zunächst zur Bundeswehr und ging anschließend zum Studium nach Konstanz. Die Trennung fiel ihr sehr schwer. Sie reservierte für ihren Sohn zeitlebens ein Zimmer in ihrem Haus, was dieser sehr zu schätzen wusste und durch viele Besuche auch honorierte.

Kurz vor Weihnachten 1972 verstarb nach langer Krankheit ihr Vater im Krankenhaus.

Ein Lichtblick in dieser Zeit war seit Ende 1969 ein Langhaar-Collie namens Lassie, der der ganzen Familie sehr viel Freude bereitete und als Mitglied der Familie voll anerkannt war und von allen geliebt wurde.

Nach dem Tod von Lassie 1982 wurde ein zweiter Collie, der dem ersten sehr ähnlich war und auch den Namen Lassie erhielt, angenommen, der ihr und der Familie genausoviel Freude bereitete. So standen die 70er und achtziger Jahre stark unter der Anwesenheit der beiden Lassies in der Familie. Nach dem Tod des zweiten Lassie 1986 war der Schmerz darüber aber so gross, dass kein weiterer Hund mehr angenommen wurde.

 1992 starb dann nach kurzer Krankheit an Hirnblutung die ansonsten zeitlebens gesunde Mutter Mathilde mit 85 Jahren zu der sie zeitlebens eine gute und innige Verbindung hatte. Das war ein harter Schlag für sie.

1997 erlitt Herbert, ihr Lebenpartner, einen Schlaganfall, der eine rechtseitig Lähmung und eine Sprachstörung mit sich brachte. Sie pflegte ihn und half ihm auch mit der Unterstützung anderer wieder auf die Beine, so dass er wieder einigermaßen gehen und sprechen konnte. Diese Situation sollte sie für den Rest ihres Lebens begleiten.

Am 25. Oktober 2008 starb nach schwerer langer Krankheit ihre Schwester und beste Freundin Maria mit 73 Jahren im Pflegeheim in Saarwellingen, die verglichen mit Alwine insgesamt in ihrem Leben viel weniger krank war. Maria sagt zu Alwine öfter, wenn Alwine mal wieder krank war, um sie aufzumuntern: "Die alten schocklischen Kutschen fahren ohm längschten." und sollte damit Recht behalten. Dieser Verlust und die Begleitung der Schwester im Sterbeprozess war für sie sehr schwer zu bewältigen.

Alwine hat außer einigen wenigen Jahren in ihrer Kindheit, die sie in Körprich in der dortigen Waldstrasse gewohnt hat, immer in Saarwellingen gewohnt. Sie hat öfters betont, dass sie nur in Saarwellingen wohnen und leben wolle und könne. Hier war sie dahemm und dahemm zu sein, war ihr zeitlebens sehr wichtig. In Saarwellingen kannte sie sich in jeder Hinsicht aus. Sie kannte alle alteingesessenen Familien von Saarwellingen und die komplizierten Familienverhätnisse bis ins kleinste Detail. Dieses Wissen wurde in Gesprächen mit ihrer Mutter, ihrer Schwester Maria, die zeitlebens ihre beste Freundin war, und mit Nachbarinnen und Bekannten immer wieder dargelegt, aufgefrischt und gegenseitig bestätigt. Sie nahm regelmäßig an den Festen in der Gemeinde teil, in späteren Jahren vermehrt an den Seniorenfesten und war in den letzten Jahren vor ihrer Gebrechlichkeit Sonntags nachmittags mit ihrem Lebensgefährten Herbert sehr oft an der Schutzhütte.

Ab 1990 machte sie aber auch vermehrt Reisen, meist Busreisen z.B. in den Bayrischen Wald, nach Karlsbad bzw. Marienbad in Tschechien, nach Wien, nach Oberitalien und die Schweiz. Zweimal erfüllte sie sich ihren Traum mal das Meer zu sehen, Einmal fuhr sie mit ihrer Freundin Christel Steuer und deren Mutter mit dem Bus nach Spanien an die Costa Brava und einmal flog sie mit ihrem Lebenspartner Herbert nach Mallorca. Mehrmals besuchte sie ihren Sohn am Bodensee.

Die 60er, 70er 80er und 90er Jahre, in denen es ihr vordergründig gut zu gehen schien, waren dennoch auch geprägt von vielen Krankheiten und einer untergründigen depressiven Stimmung. Obwohl sie nie darüber sprach, macht ihre Lektüre von Büchern über Positives Denken doch deutlich, dass sie ein Problem mit negativen Gedanken und Stimmungen hatte, die sie durch die ernsthafte Lektür dieser Bücher tatsächlich auch etwas überwinden konnte. Wer sie näher kannte spürte, dass sie seelisch nicht ganz im Lot war. Was die handfesten Krankheiten anging hatte sie Ende der 60er Jahre eine OP wegen Gebärmutterhalskrebs. In den siebziger und achtziger Jahren hatte sie sehr viel mit Migräne zu kämpfen. Eine Operation an der Nasenscheidewand und eine Darmkrebs-OP Ende der 90er Jahre.kam hinzu,

Wenn die Schulmedizin nicht mehr weiter wusste, hatte sie in ihrer Not zusätzlich Heilpraktiker zu Rate gezogen.

Sie war der Herr im Haus, streitbar wenn sie ihre Interessen vertrat und wenn ihr nicht der nötige Respekt entgegengebracht wurde und man sie enttäuschte in dem von ihr unterstellten liebevollen Miteinander. Da sie Wert darauf legte den Leuten nicht nach dem Maul zu reden, sondern authentisch zu sein, war sie in ihrer emotionalen Art verbal oft kämpferisch. Auf der Handlungsebene hat sie aber niemanden je verletzt, bis zuletzt auf die Krankenschwestern im Krankenhaus, deren Art sie anzufassen und mit ihr umzugehen viel zu rabiat für ihre empfindliche Haut und ihre kaputten Gelenke war, sodass sie diese in ihrer eigentlichen totalen Hilflosigkeit, noch mit der einen Hand, die sie noch einigermasses gebrauchen konnte, attaktierte, um sich zu verteidigen.

Auch versuchte sie in ihrer freiheitsliebenden Art immer wieder aus dem Krankenbett auszusteigen und der unerträglichen Situation im Krankenhaus zu entfliehen, ohne in der Lage zu sein, auch nur einen Schritt alleine gehen zu können.

Die letzten Jahre waren zunehmend mehr von massiven Krankheiten und Einschränkungen gezeichnet. Die Arthrose im rechten Knie und Hüftgelenk führte über den Umweg Rollator schliesslich in den Rollstuhl. Ihre Herzanfälle wurden häufiger und heftiger. Lange Zeit konnte sie diese mit Nitro-Spray beherrschen. Ab 2016, nach 2 Krankenhausaufenhalten konnte sie aber nur noch mit Herzmedikamenten leben. Sie hat sich mit der Behinderung und dem medikamentös gut eingestellten Herz mit leichter Demenz bis zu ihrem 90. Geburtstag relativ gut durchgeschlagen. Sie brauchte allerdings auch da schon längere Zeit viel Unterstützung für die Bewegungen zwischen Bett, Rollstuhl, Toilette und Fernsehsessel.

Bei einem Sturz 2018 brach sie sich das linke Handgelenk, sodass die linke Hand in der Folge für differenzierte Tätigkeiten unbrauchbar war.

Ihre Schwerhörigkeit nahm zu.

Ein Dekubitus an der linken Schulter ist nach Operation mit lokaler Betäubung zu Hause 2018 mit Unterstützung von Dr. Adolphe und ihrer Pflegerin Nacera gut verheilt.

Als dann im März 2019 der Dekubitus am Steiss entdeckt wurde, der sich lange Zeit nur als leichte Schmerzen im Hintern angekündigt hatte, und deshalb keine besondere Beachtung gefunden hatte, verschärfte sich ihre gesundheitliche Situation dramatisch.

Kurz vorher war sie noch wegen Lungenentzündung und Vorhofflimmern, die durch den unentdeckten Dekubitus im Steiis ausgelöst war, eine Woche im Krankenhaus. Nach der Behandlung mit Antibiotika ging es ihr kurzfristig nochmal besser. Aber schon bald stellten sich wieder die große Müdigkeit und die Koma-artigen Schlafphasen ein. Als sich dann am Steiss eine Öffnung in der Haut entwickelte, aus der stinkende Flüssigkeit tropfte, war klar, dass hier ein ganz gefährlicher grösserer innerer Dekubitus vorlag. Sie erkannte das und sagte etwas ungläubig aber auch entsetzt: „ Dat loh is mein Dot“.

Nach der Dekubitus-Operation im Krankenhaus im März 2019, die eine grosse tiefe Wunde zur Folge hatte, wurde sie mit schlechten Prognosen entlassen. Die anschließende Wundversorgung zu Hause durch den Pflegedienst bereitete ihr grosse Schmerzen und war ihr peinlich.

Die Wunde am Steiss hatte sich irgendwann drastisch verschlechtert (nekrotisiert zusätzliche Taschenbildung), so dass ich nochmal mit ihr ins Krankenhaus gefahren bin, um sie nochmal operieren zu lassen. Ich habe sie wegen der schlechten Erfahrung im Krankenhaus 2 mal gefragt, ob sie lieber wieder ins Krankenhaus wolle oder lieber sterben wolle. Sie hat sich fürs Krankenhaus entschieden, obwohl sie sonst häufiger äußerte, sie wäre lieber tot. Der Chefartzt dort meinte aber, eine Operation würde ihre Situation nur noch verschlechtern und man müsse davon ausgehen, dass sie sich im Sterbeprozess befände, den man durch Wundversorgung noch verlängern könne.

Als sie das im Krankenhaus erfuhr, war sie an dem Abend dort zunächst sehr verzweifelt. Eine zeitlang liess sie die Wundversorgung zu Hause noch über sich ergehen, entschied sich aber wegen der grossen Schmerzen mit den Worten "Eich konn nimmeh it get nimmeh" irgendwann dagegen und damit zu einem baldigen Tod, der sie dann eine Woche nach der letzten Wundversorgung am 4. Mai 2019 heimgesucht hat. Sie lag zuletzt 2 Tage schwer atmend anscheinend ohne Schmerzen in einem komaartigen Schlaf und ihr Herz stand am Samstag dem 4. Mai gegen ca. 22:50 Uhr still. Sie hatte ein Lächeln auf dem Gesicht als sie tot war, so als ob sie jetzt endlich von einem schweren Leben erlöst sei.

Lange hatte sie noch Hoffnung, dass sich alles noch zum Guten wenden würde. Einmal fragte sie mich: "Kumm dau mohl loh här, aich muss daich eppes frohn. Wie soll eich donn dat lo marren, wie get donn dat loh?" und selten war sie, wie es ihre Situation nahegelegt hätte, verzweifelt. Im Gegenteil, sie war in der Lage das Haus nach wie vor mit Leben zu füllen und dem Leben viel positives abzugewinnen.

Ich hatte fast noch bis zuletzt eine "schöne" Zeit mit ihr, soweit man das in der Situation überhaupt sagen kann, obwohl sie mich meist nicht mehr als ihren Sohn erkannt hat. Ihr lebenswertes Leben bestand ja fast nur noch aus der Beziehung zu mir und zu Nacera ihrer Pflegerin. Sonst war ja nichts mehr positives was sie tun oder erleben konnte. Aber das war sehr intensiv. Sie strahlte mich immer an, wenn ich mich ihr näherte und einmal sagte sie mir, ganz im Sinne des hohen Lieds der Liebe, wenn man liebe, wäre das Leiden nicht so wichtig und viel besser zu ertragen, es spiele dann keine grosse Rolle. Dennoch hatte sie Tage und Nächte an denen sie fast ständig "helf mir, helf mir doch" sagte. Das war schon schwer auszuhalten. Ich versuchte das dann auf etwas konkretes und nicht auf ihre grundsätzliche Sterbesituation zu beziehen. Ich versuchte heraus zu finden was ich konkret tun konnte, um ihr zu helfen. Häüfig waren es auch Schmerzen oder vermutlich auch Vorhofflimmern. Die Schmerzen konnte ich ihr durch geänderte Lagerung und Schmerzmittel häufig erträglicher machen. Und immer wieder wollte sie "aufstehen und furt" "hol mich". Sie wollte hemm (nach Hause) zu Mama und Papa in die Geborgenheit ihrer Kindheit. Sie lebte die letzten Wochen einerseits in ihrer Kindheit und auch in der Gegenwart. Sie versuchte ganz im Sinne des positiven Denkens auch in ihrer Notlage Zufriedenheit zu erleben und es gelang ihr angesichts ihrer Lage ziemlich gut.

Mich erinnerte ihr diesbezüglicher Zustand an den Bibelspruch: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder werdet ihr das Himmelreich nicht schauen.“

Einmal im Krankenhaus sprach Mama andeutungsweise, ohne das näher auszuführen von den Jüngern auf dem Ölberg, sie meinte aber wohl Jesus mit den Jüngern im Garten Gethsemane. Ich fand dies sehr treffend zur Beschreibung ihrer Situation. Während sie im Krankenhaus oder zu Hause leidend ihrem Tod entgegensah gingen ihre Lieben trotz der grossen Unterstützung die sie von ihnen bekam, dennoch regelmäßig schlafen und liessen sie notgedrungen zeitweise allein in ihrer Not.

Einmal als ich zu ihr ins Zimmer kam, sagte sie zu mir "kumm dau mal lo her, wer bischt donn dau? wo wonhscht donn dau? Wer is donn dein Mama?. Ein anderes Mal sagte sie: Der Klähn wohr an bisschin schüchtern, aber er wor en gonz tolles Kind un dem sein Auen die vergessen aich nie, der hat genau so Auen gehatt wie dau.

Beim Versuch nach ihrem Tod etwas aufzuräumen ist mir ein Zettel aufgefallen, auf den meine Mutter etwas geschrieben hat und sie hat in ihrem Leben nicht viel aufgeschrieben. Mir ist nichts dergleichen bekannt. Die Aufschrift lautet:

"Gib dein Herz um keine Krone,

gib es einem der Dich liebt

gib es auch nur dem zum Lohne

der dafür das seine gibt."

Mich hat sie öfter die letzten Wochen gefragt, ob ich es ehrlich meine, Sie sei immer ehrlich gewesen.

 

Das hohe Lied der Liebe

   Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.

Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und meinen Leib dahingäbe, mich zu rühmen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.

   Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf,

   sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu,

   sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit;

   sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.

 

Die Jünger im Garten Getsehmaneh.

NACHDEM Jesus und seine Apostel das Haus verlassen haben, gehen sie in den Garten Gethsemane. Hier sind sie schon oft gewesen. Jesus bittet seine Jünger, wach zu bleiben und zu beten. Dann geht er ein Stück weiter, kniet sich zum Beten hin und beugt sich ganz tief zum Boden.

Später kehrt er zu seinen Aposteln zurück. Was denkst du, was sie gerade tun? Sie schlafen! Drei Mal bittet Jesus sie wach zu bleiben, aber jedes Mal, wenn er zu ihnen kommt, schlafen sie. »Wie könnt ihr jetzt nur schlafen?«, fragt er beim dritten Mal. »Die Stunde ist gekommen, in der ich meinen Feinden übergeben werde.«